Zur Geschichte von St. Lorenz in Lübeck und der Kirche
Laurentius und seine Legende
Im Turmaufgang hängt ein Relief des Laurentius von 1660. Die Legende erzählt, dass der Heilige Laurentius/Lorenz aus Spanien oder Italien zu Papst Sixtus II. nach Rom gekommen war. Der Papst setzte ihn ein als Diakon für die Verteilung der Almosen für die Armen. Der damalige Kaiser Valerian, der die Christen verfolgte, wollte Tribut von Sixtus einfordern, was dieser verweigerte. Daraufhin starb Sixtus den Märtyrertod. Laurentius wollte ihm in den Tod folgen, aber Sixtus hatte ihn angewiesen, weiterhin seine Aufgaben zu erfüllen. Daraufhin wollte der Kaiser Laurentius zwingen, ihm die Kirchengüter herauszugeben. Laurentius soll geantwortet haben: „Es ist wahr. Die Kirche besitzt einen kostbaren Schatz und ihr habt ihn doch nie gesehen! Doch ist er nicht an einem Platz verborgen, verteilt ist er über alle Häuser und Gassen Roms. Darum gebt mir drei Tage Zeit, um ihn einzusammeln.“ Darauf ließ sich der Kaiser ein. Laurentius jedoch ging von Haus zu Haus und verschenkte alle Schätze der Kirche an die Ärmsten. Schließlich zog er mit allen Leidenden und Armen vor den Kaiser. Als dieser sah, welchen „Schatz“ Laurentius ihm brachte, ließ er Laurentius an einen Rost ketten und schmorte ihn bei lebendigem Leibe. Doch er ertrug die Qual ohne Klage, starb am 10. August 258 und wurde zum Schutzpatron vieler Berufsgruppen, die mit offenem Feuer zu tun haben, der Bäcker, der Bierbrauer, Textilreiniger und Köche. Weil er das Vermögen seiner Kirche verwaltete, wird er auch oft von Berufsgruppen wie Archivaren und Bibliothekaren angerufen. Auch bei Hexenschuss, Ischias- und Hautleiden. Man könnte sagen: Ein Universalheiliger!
Die Pest in Lübeck - Pestfriedhof
Lübeck im Jahr 1597. Es gab wieder eine große Pestwelle. Seit 1346 wird die Stadt immer wieder von der Pest heimgesucht. 1530 sterben 8000 Menschen an der Pest, 1597 über 7700.
Der Erreger der hochgradig ansteckenden Infektionskrankheit, die durch Tiere, besonders Ratten und deren Flöhe, aber auch durch sog. Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen werden kann, wurde erst 1894 entdeckt. Bis in die Gegenwart kommt es immer wieder zu Pesteinbrüchen, weil die eingesetzten Antibiotika resistent geworden sind.
Eine enge mittelalterliche Stadt wie Lübeck, in der die hygienischen Verhältnisse schlimm waren, war eine ideale Brutstätte für den Pesterreger.
Die vielen Toten konnten nicht innerhalb der Stadtmauern bestattet werden, deshalb wurde 1597 beschlossen, einen Armen- oder Pestilenz-Kirchhof anzulegen und ein Jahr später durch ein Krankenhaus zu ergänzen. Neben solchen Friedhöfen am Burgtor und in St. Jürgen wurde ein solcher auch nördlich der Stadt errichtet.
Das Pestkreuz, das neben dem Eingang der heutigen Kirche steht, gibt Zeugnis von dem damaligen Geschehen. In der Inschrift sind auch die vier Vorsteher genannt, die mit der Leitung des Friedhofes und des Pesthauses betraut wurden. Das Pestkreuz stellt eine der ältesten freistehenden Plastiken Lübecks dar.
Die Einweihung des Friedhofs erfolgte am 10. August 1597, dem Tag des heiligen Laurentius von Rom, der so zum Namensgeber erst des Friedhofs, dann der Kirche und heute auch von zwei Lübecker Stadtteilen wurde.
Das neue Pesthaus wird 1603 erbaut, 1720 gibt es einen Neubau. Es stand etwa an der Stelle des neuen Gemeindehauses.
Der Neubau wird 1820 instandgesetzt und aufgestockt. Er dient dem Kirchendiener als Wohnung und hat im Obergeschoss einen Konfirmandensaal.
Dieses Haus wird mit dem Bau des neuen Gemeindehauses 1955 abgerissen. Ein noch vorhandenes altes Pesthaus steht in der Adlerstraße 35.
Das Gelände vor dem Holstentor, das Holstenfeld, wurde jahrhundertelang im Wesentlichen als Gemeinweide, auch „Stadtfreiheit“ genannt, für das in der Altstadt gehaltene Vieh genutzt, das hier tagsüber auf die Weide getrieben wurde. Die Straße „Stadtweide“ gibt es noch heute. Später wurden auf dem Areal Fischteiche angelegt. Noch heute erinnern Namen an diese: „Beim Retteich“, Karpfen- und Teichstraße, die frühere Kneipe „Zum Sumpfkrug“ am Ziegelteller (heute „Morastino“).
Spätestens Ende des 19. Jahrhunderts sind diese Gewässer verschwunden, aber das Gelände des Friedhofs und der heutigen Kirche ist immer sumpfig geblieben.
Der Bau des neuen Bahnhofs 1908 mit dem großen Geländeeinschnitt führte dazu, dass der Stadtteil St. Lorenz-Nord nur über Brücken erreicht werden kann.
Die 1. (Barock-)Kirche
Eine Kirche gab es auf dem Pestfriedhof noch nicht. Erst 1660 beantragten die Vorsteher des Pesthauses und des Friedhofes, eine Kapelle bauen zu dürfen. Der Rat der Stadt erlaubte dieses Vorhaben am 20. Oktober 1660, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass dieser Bau keine Folgen für die Verteidigung der Stadt nach sich zieht. Deshalb durfte auch kein hoher Turm errichtet werden.
Am 27. Juli 1661 wurde mit dem Bau begonnen, nach dreijähriger Bauzeit entstand eine einschiffige, schlichte Fachwerk-Kirche, die ihrer Gemeinde mehr als 200 Jahre lang dienen sollte. Durch Spenden war sie würdig gestaltet und ausgestattet worden. Geweiht wurde die Kirche am 21. November 1669. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde der Gemeinde, die zunächst zu St. Petri gehörte, ein eigener Priester genehmigt.
Nach einer ersten Orgel erhält die Kirche 1693 eine neue mit zwei Manualen, Pedal und 15 Registern. 1769/70 wird die Kirche renoviert und sie bekommt einen neuen barocken Altar und eine neue Kanzel.
Aus der ersten Kirche sind noch erhalten: der Altar (heute in der St. Georgskapelle in Bad Schwartau) und die Kanzel (heute in der St. Katharinenkirche).
und schließlich das Kruzifix des barocken Altars in der sog. Taufkapelle der jetzigen St. Lorenz-Kirche von J. von Santen, 1674.
Ein erster hölzerner Glockenturm wurde neben dem Friedhofseingang 1696 gebaut und immer wieder erneuert. 1873 bekam die Kirche einen steinernen Glockenturm auf dem Friedhof, der seit Pfingsten 2024 eine Glocke bekommen hat.
Im Jahre 1786 ließ Bernhard von Wickede, der Sohn des Bürgermeisters, seine Frau Magdalena A. D. Vanselow auf dem bis dahin als Armenfriedhof geltenden St. Lorenz-Kirchhof bestatten und setzte ihr ein klassizistisches Grabmal in Form eines niedrigen Postamentes. Diese gesellschaftlich mutige Tat wurde zum Vorbild für andere gebildete Bürger, die dem neuen Zeitgeist der Aufklärung entsprechend sich gegen die überkommenen Bestattungen in den Innenstadtkirchen entschieden.
Aus dieser Zeit sind noch einige klassizistische Denkmale in Form von Stelen, Tumben, Säulen und Obelisken erhalten, die mit aus antiker Tradition stammenden Ewigkeitssymbolen geschmückt wurden. Außerdem befinden sich auf dem St. Lorenz-Friedhof die Gräber der Familie Niederegger und von Karl Martin Schetelig, Wegbereiter der modernen Industrie, sowie die Gruften weiterer berühmter Lübecker Familien.
In einer Ecke des Friedhofs, in der Nähe des Grabes des Reformierten Pastors Johannes Geibel (Vater des Dichters Emanuel Geibel), gibt es einen Gedenkstein für den Küster, Organisten und Schulmeister Hermann Leopold Evers, der von 1773 bis 1844 lebte.
Ende des 19.Jahrhunderts wurde der Ruf nach einer größeren Kirche laut. Immerhin wohnten 1895 schon etwa 18000 Menschen vor dem Holstentor. Ende 1895 wurde durch die Synode und den staatlichen Kirchenrat folgende Lösung beschlossen: Die St. Lorenz-Gemeinde wird geteilt. Es sollten zwei Kirchen gebaut werden: St. Lorenz an alter Stelle neu und St. Matthäi an der Schwartauer Allee.
Die neugotische 2. Kirche
Am 18. November 1898 fand die Grundsteinlegung der neuen Kirche statt. Die alte Kapelle blieb zunächst noch stehen, die neue Kirche wurde um das alte Gotteshaus herum gebaut, das erst im Februar 1899 entfernt wurde.
Am 8. Mai 1900, am Sonntag Jubilate, konnte die neue Kirche, die im neugotischen Stil errichtet wurde, eingeweiht werden. Sie bot 600 Besuchern Platz. Die Matthäi-Kirche wurde ein paar Wochen vor St. Lorenz geweiht: Am auf den 25. März fallenden Sonntag Laetare des Jahres 1900. Die St.-Matthäi-Kirche war somit das erste Gotteshaus, das nach rund 250 Jahren in Lübeck gebaut worden war.
Die St. Lorenz-Kirche zeigt eine durchaus unübliche Bauweise. Zwar ist sie in Ost-West-Richtung orientiert, der Altar steht jedoch an der Westseite. Der Eingang befindet sich dagegen im Osten.
Der neugotische Altar wurde 1899/1900 von der Firma Kuntzsch aus Wernigerode am Harz gebaut. (Aus derselben Werkstatt stammte auch eine neugotische Kanzel, deren Verbleib leider unklar ist). Seine ursprüngliche Form war ohne die Seitenflügel und den Sockel („Predella“). 1901 fand man den Altar zu klein und zu schmal und so wurden diese beiden Teile ergänzt. Die vergoldeten Rosenornamente auf den Seitenflügeln sollen Wasserrosen sein als altkirchliches Symbol der Reinheit. Man war sich damals der Problematik des in das mittlere Chorfenster ragenden Kruzifix wohl bewusst. Aber der gekreuzigte Christus kann kaum ohne den Weltenherrscher gesehen werden kann: der erniedrigte und der erhöhte Christus sind ein Einziger.
Für die Empore stiftete der Senator Emil Possehl 1900 eine große Orgel der Firma Sauer mit neugotischem Prospekt. Sie hatte 32 Register. Ein Zeitgenosse lobte die Sauer-Orgel für die ,,außerordentliche Reichhaltigkeit der Klangwirkung”. Sie verbrannte nur 21 Jahre nach ihrer Einweihung. Ein Kurzschluss in der Kirche hatte das Feuer verursacht.
Dank zahlreicher Stifter erhielt die Kirche prächtige Glasfenster. Sie stammen von dem Glasmaler Victor Johann von der Forst aus der sog. „Düsseldorfer Schule“. Forst wurde 1863 in Münster in Westfalen geboren und starb 1901 in Herten. Seine Familie war bis 1978 im Bereich der Glasmalerei tätig, vor allem im sakralen Umfeld.
Die drei Chorfenster im Westen zeigen links und rechts die vier Evangelisten und in der Mitte die Apostel Petrus und Paulus sowie in den großen Rosetten einen Pelikan mit seinen Jungen, den segnenden Christus und das Lamm mit Siegesfahne.
Die Bilddarstellung der Evangelisten hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gewandelt. In St. Lorenz fällt auf, dass der Evangelist Markus ein Schwarzer ist (mit dem Löwen), dann kommt Matthäus als Engel, im rechten Fenster ein junger Johannes mit fast weiblichen Zügen und dem Adler, sowie ein Lukas mit dunklerer Hautfarbe mit dem Stier.
In der Mitte die Apostel Petrus (mit dem Schlüssel) und Paulus (mit dem Schwert).
Wie auch bei den anderen großen Fenstern sind bei allen die Namen der Stifter vermerkt.
Drei große Fenster auf der Südseite stellen die Geschichten vom Barmherzigen Samariter, von Jesus in Gethsemane sowie von der Heimkehr des verlorenen Sohnes dar.
Drei große Fenster auf der Nordseite stellen Geburt, Kreuzigung und Himmelfahrt Christi dar.
Neben der Orgelempore ist ein Fenster, das die Verkündigung des Engels an Maria sowie Mose und Jesaja zeigt.
Weitere figürliche und ornamentale Fenster finden sich im Kirchenraum. Vor allem die sechs Seitenfenster sind prächtig und leuchtstark mit vielen Details gestaltet. Die Ausführung der Fenster übernahm die Werkstatt Ferdinand Müller, Quedlinburg. Im Jahr 2016 wurden sie durch die Firma Glasmalerei Peters, Paderborn restauriert.
Die neue Kirche bekam eine Taufe aus Sandstein.
Es wird immer wieder gesagt, der spätere Bundeskanzler Willy Brandt, der aus Lübeck stammte, sei am 26. Februar 1914 hier getauft worden. Das ist jedoch eher unwahrscheinlich, denn nicht-eheliche Kinder (ein solches war W.B.) wurden nicht in der Kirche, sondern im Pfarrhaus getauft.
1908 wurde an der Außenfassade der Kirche (südliche Ecke zum Friedhof) eine über 2 Meter große Statue eingesetzt, die Christus darstellt. Sie ist aus Muschelkalk und stammt von dem aus Lübeck stammenden Bildhauer Hans Schwegerle (1882 – 1950).
Schon in der alten Kirche hing ein barockes Gemälde mit dem Titel „Isaaks Opferung“. Man wusste, dass das Bild das Geschenk eines Kirchenvorstehers von 1817 war, es befand sich also schon in der alten Kirche und sollte aus dem 17. Jahrhundert stammen. Aber der Künstler war unbekannt. Bis etwa im Jahre 2000 der Kunstprofessor und Barockspezialist Detlef Weiss das Gemälde als ein Werk des Flamen Jakob Jordaens identifizierte, der von 1593 bis 1678 lebte, und neben Rubens und van Dyck als der bedeutendste Barockmaler gilt. Auch die Bayrische Staatsgemäldesammlung bestätigte die Echtheit des Bildes. Das war natürlich eine Sensation - und St. Lorenz war um einen großen Schatz reicher.
Zum Schatz von St. Lorenz gehören auch silberne Gefäße wie Kelche, Kannen und Leuchter aus der alten Kirche sowie Paramente.
Nachdem die Sauer-Orgel verbrannt war, wurde sie 1923 durch eine neue ersetzt, die im Laufe der Zeit zweimal restauriert wurde – zuletzt 1993/94 durch die Firma Lobback. Sie gehört zu den wenigen übriggebliebenen Denkmälern des Orgelbaus der romantischen Epoche.
Im Kirchturm hängen drei Glocken. Die kleinste hat die Zeiten überdauert und stammt aus dem Neubau 1900. Die beiden größeren wurden im 2. Weltkrieg eingeschmolzen und durch 2 Leih-Glocken aus Danzig vom sog. Hamburger Glockenfriedhof ersetzt.
Der barocke Taufengel von 1770 stammt von dem Bildhauer Dietrich Jürgen Boy (1742 – 1803), der auch die Sandsteinfiguren der sog. Puppenbrücke geschaffen hat. Heute befinden sich dort nur Kopien, die Originale wurden 1984 in das St. Annen-Museum gebracht.
Der barocke Taufengel wurde 1912 aus der Kirche entfernt und gehörte zum Inventar des St. Annen-Museums. Seit dem 1. Advent 1999 ist der Engel als Dauerleihgabe der Stadt Lübeck wieder in der Kirche und wurde 2024 restauriert. Die Geschichte der Taufengel würde einen eigenen Vortrag verdienen. Sie beginnt etwa 1650. Nur in evangelisch-lutherischen Kirchen wurden Taufengel aufgehängt – vor allem im Nordosten (Ostpreußen, Pommern, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein). Einige auch in Dänemark, Norwegen und Schweden. Zeitweise sollen bis zu 1000 Exemplare entstanden sein. Ein Grund für den „Höhenflug“ der Taufengel war der Platzmangel, der in vielen, vor allem kleineren Kirchen, herrschte – etwa durch zusätzliches Gestühl.
In der Zeit der Aufklärung, zumindest zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nimmt die Akzeptanz von Taufengeln ab. Viele wurden aus theologischen und kunstkritischen Gesichtspunkten aus den Kirchen entfernt, auf den Kirchenboden oder ins Museum verbannt; viele wurden zerstört. Ende des 19. Jahrhunderts wurde ihr Wert wiederentdeckt – und die Gemeinden erfreuen sich an ihren Taufengeln.
St. Lorenz in der NS-Zeit
Mit der Zeit des Nationalsozialismus beginnt für St. Lorenz eine dunkle Epoche. 1939 wurde der neugotische Altar abgebaut und eingelagert. Die neugotische Kanzel ist verschwunden. Anstelle des neugotischen Altars schuf der Segeberger Künstler Otto Flath einen großen Altar aus Ulmenholz. Flath, der aus einer deutschstämmigen ukrainischen Familie stammt, lebte von 1906 bis 1987 und hat vor allem auch mit Altären ein gewaltiges Werk geschaffen. Er ist umstritten wegen seiner Affinität zum Nazi-Regime. Zwar war er kein Mitglied der nationalsozialistischen Partei, schuf aber in seinen Personengruppen Darstellungen des nationalsozialistischen Familienideals. Wie auch in der Lübecker Lutherkirche wurde in St. Lorenz der Altar abgebaut, aufgeteilt und an der Seitenwand aufgestellt. Das war 1999.
Seit 1937 hatte St. Lorenz einen Pastor Gerhard Schmidt, der ein fanatischer Anhänger des NS-Regimes war. Damit begann für St. Lorenz eine dunkle Zeit. Die Kirche wurde baulich verändert, so wurden die neugotischen Bögen vor den Emporen mit Rauputz zugekleistert. Vor allem aber veränderte dieser Pastor Elemente des Gottesdienstes wie das Glaubensbekenntnis im Sinne des Führerkultes. Von Jesus Christus ist kaum noch die Rede. Schmidt wurde ein radikaler Antisemit. Nach einer Predigt im August 1944 äußerte eine Gemeindehelferin gegenüber einer Chorschülerin, dass „die Judenverfolgung (ihres) Erachtens unverantwortlich sei“. Schmidt suspendierte sie sofort von ihrer Mitarbeit im Kirchenchor und Kindergottesdienst und erstattete beim zuständigen NSDAP-Ortsgruppenleiter Meldung über den Vorfall. Zudem drohte er ihr mit seinen Kontakten zur Gestapo und der sofortigen Einweisung in ein Konzentrationslager.
Nach dem Krieg wurde Schmidt sofort vom Dienst suspendiert.
Schmidts Denkweise illustriert auch dieses Zitat:
"Hiernach ist das Christentum der unüberbrückbare Gegensatz zum Judentum, wie es der Galiläer Jesus von Nazareth durch seine Lehre sowie sein persönliches Lebensschicksal selbst bezeugt hat. Sodann beschließt auf Grund bisheriger geschichtlicher Erfahrung und zeitbedingter wissenschaftlicher Forschung die völlige Ausschaltung des Jüdischen auf allen Lebensgebieten die deutsche Existenzfrage schlechthin.“
(Gerhard K. Schmidt, Zur Geschichte der Juden in Lübeck, Lübecker Kirchenkalender 1940 (in: Otto Flath, Informationen zur Erinnerungskultur im Bereich der Nordkirche, 2024, S. 59)
Zusammen mit Gerhard Schmidt gab es von 1929 bis 1946 Pastor Werner Greiffenhagen an St. Lorenz, der der Bekennenden Kirche angehörte.
Dieses traurige Kapitel der Kirchengeschichte von St. Lorenz scheint lange totgeschwiegen worden zu sein. Im Pastorenverzeichnis der Kirche wird nur der Name Gerhard Schmidt erwähnt – ohne weitere biographische Einzelheiten.
Von 1945 bis 1959 war Arthur Weiß Pastor an St. Lorenz. Zu seinem Abschied schreibt er im Gemeindebrief:
„Es war aus mancherlei Gründen kein leichter Anfang. Das kirchliche Leben lag so gut wie völlig danieder. Die meisten einheimischen Kirchgänger besuchten die Gottesdienste in St. Matthäi oder in der Kapelle im Herrenhaus Krempelsdorf, weil ihnen, wie sagten, das Evangelium dort noch lauter und rein verkündigt wurde.“ Mehr schreibt Weiß nicht.
Ich bin im Winter 1978/79 als Gastprediger nach St. Lorenz gekommen. In einer Predigt am 5. Mai 1985 zum 40. Jahrestag des Kriegsendes sagte ich u.a.:
„Ich stelle heute Fragen, die ich meinen Eltern und Großeltern nie stellen durfte, ja nicht zu stellen wagte: Was habt ihr alles getan damals? Was habt ihr gedacht und gefühlt? Wo habt ihr gelitten und geweint und euch geschämt? Wie sehen alle eure Erinnerungen aus an die Zeit vor dem 8. Mai?“ … „Es geht nicht darum, Vorwürfe zu machen — wer von uns wüsste denn, ob er anders gehandelt und gelebt hätte als die Generation der Eltern und Großeltern? … „Welche Trauerarbeit, welche Qual von Hiob'schen Dimensionen, welche Buße wäre nötig gewesen, das Unfassbare aufzuarbeiten: dass Millionen getötet; vergast, ausgehungert wurden. Dass eine wahnwitzige Ideologie von einer besseren Menschenrasse unsägliches Leid über die Welt brachte — und viele unserer Eltern und Großeltern dies zumindest in seinen Ansätzen mittrugen und bejubelten!“
Daraufhin wurde ich zu einer Sitzung des Kirchenvorstands zitiert und mir wurde – sinngemäß – vorgeworfen, ich hätte mich zu heftig ausgedrückt.
Im vor 2000 erschienenen, noch ausliegenden Kirchenführer heißt es lapidar:
„Die St. Lorenz-Kirche hat in ihrer Baugeschichte viele Veränderungen erlebt. Schon in den ersten Jahren wurden Umgestaltungen an Gestühl, Altar und Kanzel vorgenommen, 1939 Kanzel und Altar ersetzt und die backsteinernen Bögen mit Rauputz versehen.“ (Der Rauputz wurde erst 1993 entfernt.)
Erst später haben Historiker begonnen, etwas Licht in das Dunkel der Geschichte zu bringen.
St. Lorenz nach dem 2. Weltkrieg
Mit Pastor Weiß begann dann wohl eine breit angelegte Gemeindearbeit, vor allem für die Jugend. Die wurde unter Pastor Wilhelm Reinhold Brauer fortgesetzt, der von 1961 bis 1972 an der Kirche wirkte. Ein Sohn von ihm ist Dr. Christoph Brauer, dem ich einige der Bilder für diesen Vortrag verdanke und der mir oft von der blühenden Jugendarbeit in St. Lorenz erzählt hat.
Die weitere Geschichte von Kirche und Gemeinde in Stichworten:
Ab 2000 gab es das Projekt „Offene Kirche“ mit dem dreimal wöchentlich geöffneten Kirchcafé im Vorraum unter der Orgel.
Die Ehrentafeln hängen jetzt im Turmaufgang.
2002 wurde die Kantorei gegründet, es gab einen Seniorenkreis, einen Frauentreff und eine Pfarrstelle für Trauerbegleitung.
Ab 2007 wurde mit der Renovierung der Kirche begonnen, zunächst mit dem Vorraum und der Glaswand zur Kirche.
Seit 2008 ist der Friedhof, der lange städtisch war, wieder im Besitz der Gemeinde.
Die große Sanierung der Außenmauern und des Kirchenschiffs begann 2010.
Diese Sanierung wurde 2014 abgeschlossen, und es folgte die Restauration der Kirchenfenster.
In der sog. Flüchtlingskrise 2015/2016 nahm St. Lorenz Flüchtlinge auf und stellte den Gemeindesaal zum Übernachten bereit. Daraus ging das Sprachcafé hervor, das als Sprach- und Begegnungscafé bis heute existiert. St. Lorenz war eine internationale Gemeinde geworden mit einer halben Pfarrstelle.
Hatte die Gemeinde schon seit 2004 einem „Kirchengemeindeverband“ (mit Matthäi, Markus und Paul-Gerhardt) angehört, wurde sie 2022 der neuen „Laurentiusgemeinde“ eingegliedert.
Die Bedingungen für eine Gemeinde haben sich im Laufe der Jahre immer wieder verändert. Die soziologische Struktur von St. Lorenz-Nord ist eine völlig andere geworden als in vergangenen Jahrzehnten. Man wird sehen, was sich daraus in Zukunft ergibt.
(überarbeitete Fassung des Vortrags am 10. April 2025, Jörg Scholz)