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Jörg Scholz


Predigt am Pfingstsonntag 2023 in der Versöhnungskirche Travemünde
„Und kommt das Fest der Pfingsten,
Dann schmückt mir fein das Haus,
Ihr, meine liebsten Jüngsten,
Mit Birkenzweigen aus.“
Diese Verse über den alten Brauch, zu Pfingsten die Häuser mit Birkenzweigen zu schmücken, wird wohl kaum einer unter uns kennen. Aber ihren Verfasser: Sie sind von Wilhelm Busch, dem in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts lebenden Humoristen und Zeichner. Seine bekannteste Bildgeschichte, Vorläuferin der späteren Comics, ist die von den beiden bösen Buben Max und Moritz.

Von einem Neffen Wilhelm Buschs, einem Pastor, gibt es folgende schöne Anekdote: „Ich besuchte einen älteren Mann, der sich das Bein gebrochen hatte. Gegen die Langeweile brachte ich ihm einmal ein Album meines Onkels Wilhelm Busch mit. Beim späteren Besuch fragte ich ihn, wie es ihm gefallen hätte. Schmunzelnd antwortete er: ‚Wenn ich nicht wüsste, dass Sie Pastor sind und dass dieses Buch darum Gottes Wort sein muss, hätte ich manchmal richtig lachen müssen.’“

Wort Gottes und Humor, Kirche und Schmunzeln, gar Lachen, das scheint nicht nur damals, zu Wilhelm Buschs Zeiten, sondern auch heute noch irgendwie nicht recht zusammen zu passen. Die Bibel ist doch ein sehr ernstes Buch, da gibt’s nichts zu lachen... Wirklich nicht? Vielleicht hängt das auch davon ab, wie wir die Bibel lesen: Wenn wir schon das Vorurteil haben, dass es dort nur sehr ernst zugeht, dann können wir gar nicht merken, dass es dort auch wunderbare Poesie, Liebesgedichte, kräftige Bilder vom Leben - und eben auch Humor oder sogar Satire gibt.

Der Lukas genannte Verfasser des Evangeliums und der Apostelgeschichte hat, so finde ich, einen verhaltenen Humor gehabt. Das erste Beispiel haben wir vorhin in der Pfingstgeschichte gehört. Sie erinnern sich: Der Geist ist über die Urgemeinde so heftig gekommen, dass manche Außenstehende ratlos wurden und sich fragten: Was soll das bedeuten? Andere aber spotteten und sagten: Diese Christen da sind voll von jungem Wein! Die sind ganz einfach betrunken - und im Alkoholdusel ist man ja auch zu Dingen fähig, die man vorher gar nicht bei sich kannte. Nun, das ist ja alles noch nicht so richtig lustig, obwohl ich schon finde, dass Lukas das Ungeheuerliche der Geistausgießung offensichtlich so beeindruckend und kaum beschreibbar gefunden hat, dass er den jungen Wein ins Spiel bringt - und nicht einfach weglässt. Was ich aber schon immer merkwürdig oder besser lustig fand, ist die Reaktion des Petrus auf den Vorwurf der Spötter, die vom Geist erfassten Christen seien betrunken. Was sagt Petrus denn? Diese Menschen sind nicht betrunken, wie ihr vermutet; es ist doch erst neun Uhr am Morgen. Na, jetzt um halb elf Uhr am Pfingstsonntagmorgen wird vermutlich in dieser Kirche auch keiner betrunken sein. Aber die Argumentation des Petrus bleibt trotzdem irgendwie lustig: Wenn der Heilige Geist erst am späten Abend über die Urgemeinde gekommen wäre - wäre dann der Vorwurf der Betrunkenheit vielleicht berechtigt gewesen? Ich denke, Lukas wollte zeigen, dass Petrus auf den albernen Vorwurf des Betrunkenseins geradezu humorvoll reagiert.

Und noch zwei Beispiele aus der Apostelgeschichte, die von Humor zeugen. Da berichtet Lukas vom Aufenthalt des Paulus in Troas an der Westküste Kleinasiens und schreibt:
"Paulus predigte, und weil er am folgenden Tag abreisen wollte, zog sich seine Rede bis Mitternacht hin. Im Versammlungsraum im oberen Stockwerk brannten aber viele Lampen. Ein junger Mann mit Namen Eutychus saß auf der Fensterbank und war fest eingeschlafen, als Paulus so lange redete. Im Schlaf fiel er vom dritten Stock hinunter und wurde tot aufgehoben."

Gott sei Dank bringt Paulus den jungen Eutychus gleich wieder ins Leben zurück. Aber eigentlich ist die Geschichte doch zum Lachen, weil sie zeigt, dass lange Predigten nichts taugen, auch wenn man hier in dieser Kirche beim Einschlafen nicht gleich drei Stockwerke tief fallen kann. Deshalb sage ich (fast) immer: Ein Pastor darf über alles predigen, aber nicht über 15 Minuten... Und manchmal sind auch 15 Minuten noch zu viel. Nach meinem Theologiestudium war ich eine Zeitlang für ein Kirchspiel zuständig, in dem an manchen Sonntagen in vier Dörfern Gottesdienste zu halten waren. Es ist Sommer und sehr heiß, ich habe schon drei Gottesdienste hinter mir - der letzte ist um 14 Uhr. Natürlich kommt fast das ganze Dorf in die Kirche, den Sonntagsbraten im Magen. Während der Predigt versinken alle meine lieben Bauern in einen tiefen Schlaf. Hoffentlich traf das Wort aus dem 127. Psalm zu: "Denn der Herr gibt es den Seinen im Schlaf."

Und mein letztes Beispiel aus der Apostelgeschichte: Paulus ist in Ephesus, wo es den Tempel der großen Göttin Artemis gab. Und als er von Jesus Christus predigt, merken alle, die an dem Tempel prächtig verdienten, dass ihre Geschäftszweige pleitegehen könnten. Es gibt einen Aufruhr, die Menschen strömen zusammen und Lukas schreibt dazu die Sätze:
"Dort schrien alle durcheinander, es ging in der Versammlung chaotisch zu und die meisten wussten nicht, weshalb sie überhaupt zusammengekommen waren."

Die meisten wussten nicht, weshalb sie überhaupt zusammengekommen waren... Ich finde den Satz zum Lachen und gleichzeitig irgendwie auch richtig. Denn immer wieder kommen Menschen zusammen, weil sie irgendetwas irgendwohin treibt, und wissen gar nicht, um was es eigentlich geht.

Ich hoffe, dass Sie heute Morgen wissen, warum wir hier zusammen gekommen sind: Pfingsten feiern wir den Geburtstag der Kirche - und ich finde es wunderbar, dass dies mit den schönen alten Pfingstliedern und bei Sommerwetter geschieht. Wo es etwas zu wirklich zu feiern gibt, da sind wir fröhlich gestimmt und heiter. Der Geist, der Pfingsten über die junge Christenheit gekommen ist, ist ein Geist der Freude; die Menschen sind begeistert, weil sie erfahren, dass Gott mit ihnen ist und weil sie sich über alle Sprachgrenzen hinweg verständigen können.

Der Münchener Theologe Jörg Lauster hat eine faszinierende Biographie, eine Lebensgeschichte, des Heiligen Geistes durch die Epochen des Christentums hindurch geschrieben. Zur Pfingstgeschichte des Lukas schreibt er unter anderem:
„Keine Geschichte kann schöner und besser das Selbstbewusstsein des frühen Christentums anschaulich machen… Die Ausgießung des Geistes über die ersten Christen ist für Lukas in einen umfassenden Heilsplan eingebunden. Der göttliche Geist schimmert in der Geschichte Israels auf, er zeigt sich in unsichtbarer Gegenwärtigkeit in Taten und Menschen. In der Person Jesus Christus gelangt die Geistesgegenwart zu ihrem Höhepunkt, sie ist die tragende Mitte, in seinen Jüngern und in den ersten Christinnen und Christen setzt sie sich fort und wirkt weiter: Lukas appelliert mit seiner Erzählung von dem göttlichen Heilsplan an seine Zeitgenossen, sich selbst als Teil dieser planvoll gefügten Entfaltung des göttlichen Geistes in der Welt zu begreifen. Seine Pfingsterzählung ist ein Meisterwerk der Leistungskraft religiöser Imagination und darum zu Recht die berühmteste Geistgeschichte der Christenheit.“
„Sich selbst als Teil der Entfaltung des göttlichen Geistes in der Welt zu begreifen“. Das scheint gegenwärtig in den Hintergrund zu treten angesichts der berechtigten Kritik an der Kirche und den Kirchen, weil sich die Beispiele häufen, die dem göttlichen Geist so empfindlich widersprechen. Aber heute wollen wir auch einmal das Gute sehen und uns darüber freuen, dass es Anlass zur Freude gibt, und Hinweise auf das Erfülltsein mit Heiligem Geist:
- Freude darüber, dass es in den Kirchen Menschen gibt, die  Geschwisterlichkeit leben, gegen den Hass, gegen Gewalt, für Fremde und am Rand der Gesellschaft Lebende;
- Freude darüber, dass Kinder getauft werden und damit die Würde und Freiheit unserer Kinder als Gottes Geschöpfe betont wird. Aber die Taufe ist ja noch mehr, wie es vor ein paar Tagen ein Benediktinermönch aus Jerusalem in einem Interview so ausgedrückt hat: „Wir glauben, dass Gott uns durch die Taufe aus allen ethnischen, kulturellen und biologischen Zusammenhängen herausnimmt und neu einpflanzt in eine ganz neue Art von Familie und Gemeinschaft, die nicht menschengemacht ist.“
Ich setze meine Aufzählung über Anlässe zur Freude fort:
- Freude darüber, dass im Sinne dieser Gemeinschaft vor Ort lebendige Ökumene zwischen den Konfessionen gelebt wird;
- Freude über die Paare, die ihre Ehe unter den Segen Gottes gestellt haben,
- Freude über die seelsorgerliche Begleitung Kranker und Sterbender;
- Freude darüber, dass im Geist Gottes Schuld nicht verdrängt, sondern vergeben wird;
- Freude an Brot und Wein, in denen Christus uns gegenwärtig sein will.
- eine Freude an der Bewahrung der Schöpfung;
- Freude an den großen Festen des Kirchenjahres, bei denen sich Himmlisches und Irdisches begegnen.
- Freude am Gottesdienst, der den Alltag durchbricht.
- Und die Freude am Lachen - wie vielleicht über diese Geschichte, die kürzlich ein Kollege in seiner Predigt erzählt hat. Wie Sie wissen, steht ganz am Anfang der Bibel, in der 1. Schöpfungsgeschichte, dass alles „wüst und leer“ war, auf Hebräisch „tohuwabohu“. Dieser Ausdruck für Chaos hat sich in unserer Alltagssprache erhalten. Jetzt die Geschichte: Die Mutter eines kleinen Jungen betritt sein Kinderzimmer und ruft: Was für ein Tohuwabohu wieder hier! Darauf der kleine Schlaufuchs zur Mutter: „Ich wusste gar nicht, dass Du Hebräisch kannst!“

Diese Aufzählung über die christliche Freude ist unvollständig und ließe sich sicher erweitern. Ein Fazit: Ja, wir Christen können/könnten fröhliche Menschen sein, wie ich mir auch Jesus als einen fröhlichen Menschen vorstelle! Manche meinen, er sei ein Kyniker gewesen, so etwas wie ein Clown der Antike oder ein Hippie der Neuzeit. Sicher hätte er auch über die folgende Geschichte gelacht: „Der kleine Moritz wird in der Sonntagsschule gefragt, was das wäre: Ist braun, hat einen buschigen Schwanz und knackt Nüsse... Er antwortet: Eigentlich denke ich, es ist ein Eichhörnchen, aber es wird wohl wieder das liebe Jesulein sein! Darauf sagt die Tante der Pfarrfrau ganz ergriffen: O, das fromme Kind!“

Gebrauchte nicht Jesus in seinen Gleichnissen wunderbare Bilder von Gott und vom Leben und manchmal auch solche mit einer ordentlichen Portion Humor, ja Satire? Wie in diesem Wort gegen die Reichen:
"Es ist leichter für ein Kamel, durch ein Nadelöhr hindurch zu gehen, als für einen Reichen, in das Reich Gottes zu gelangen."

Oder diese beißende Kritik Jesu an denen, die sich für fromm halten:
"Wegen einer Mücke siebt ihr alles durch, aber Kamele schluckt ihr herunter."

Auch bei dieser Predigt habe ich mich angesichts der Welt- und Nachrichtenlage gefragt, ob ich denn eine Predigt verantworten kann, die uns in einen pfingstlichen Geist der Heiterkeit und Freude versetzen möchte. Was an vielen Orten dieser Welt geschieht, erzeugt doch Wut und Ohnmacht; und wir hoffen und beten für ein Ende des Mordens und Blutvergießens. Aber dann erinnerte ich mich an ein in meiner Studentenzeit viel diskutiertes Buch des amerikanischen Theologen Harvey Cox. Es hatte den Titel „Das Fest der Narren. Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe“. Vielleicht braucht es diesen Trotz, mit dem wir Christen, Narren gleich, dem bösen Lauf der Welt Paroli bieten.

So will ich uns und mir die Freude an diesem Festtag nicht nehmen lassen, auch wenn sie gedämpft herüberkommt. Dazu passt der feierliche, ernste Text, den wir vorhin aus dem Johannes-Evangelium gehört haben. In diesem Evangelium ist auch viel von der Freude die Rede - aber es ist eine eher stille Freude, eine innere Freude, die freilich ausstrahlen möchte. Jesus verabschiedet sich von den Seinen, er muss seinen Weg zu Ende gehen - bis zum Kreuz. Aber er weiß: Gott lässt die Jünger und Jüngerinnen auch nach Golgatha nicht allein, er wird ihnen den Heiligen Geist schenken - und ihre Freude darüber, dass Jesus da war, wird erneuert werden und bleiben. Und er verheißt einen Frieden, wie ihn offensichtlich die Welt nicht geben kann.

"Der Fürsprecher aber, der heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, wird euch in allem unterweisen und an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden schenke ich euch; ich schenke euch etwas anderes, als die Welt es geben kann. Euer Herz sei nicht beunruhigt und verzagt." (Johannes 14)

Predigt am 7. Mai 2023 in der Reformierten Kirche über 1. Samuel 16, 14-23

Manche Vorstellungen haben sich fest ins Gehirn geprägt – ich spreche jetzt von meinem eigenen… Dazu gehört die festgemeißelte Idee, dass unser Altes Testament, manche sagen auch das „Erste Testament“ oder sprechen von der hebräischen Bibel, vom Anfang bis zum Ende von einem Gott spricht. In der überwiegenden Zahl seiner Erwähnungen wird er Jahwe genannt. Diesen Gottesnamen geben die meisten Übersetzungen mit „der Herr“ wieder, meistens mit Großbuchstaben geschrieben. Der Gottesname darf bei jüdischen Gläubigen nicht ausgesprochen werden, sondern wird meistens durch „Adonai“, Herr, ersetzt. Aber ich kehre zurück zu der Eingangsformulierung, die besagte, dass das Alte Testament durchgehend von einem, genauer müsste ich sagen, dem einen Gott spricht. Also durchgehend ein monotheistisches Gottesbild vertritt. Am Anfang hat der eine Gott alles geschaffen – und dann geht es mit ihm durch die ganze israelitische Geschichte, wenn nicht gar die Weltgeschichte.

Der durchgehende Monotheismus, der Glaube an den Einen Gott, mag sich in meinem Kopf (vielleicht auch in Ihrem?) festgebissen haben. Er hält aber einem kritischen Lesen der alttestamentlichen Bibel nicht stand. (Zugegeben: In Ansätzen war mir das schon lange bekannt, aber die Vorstellung des ewigen, Einen Gottes hat nun einmal etwas Faszinierendes und überlagert andere Schichten vom Reden von Gott.)

Korrekterweise müsste ich so formulieren: Der Gedanke des Einen Gottes hat eine lange Vorgeschichte. Denken wir nur an das biblische Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“. Also gab es andere Götter. Ja, es gab auch Göttinnen, von denen das Alte Testament berichtet. Die Völker Vorderasiens hatten einen Vielgötter-, einen polytheistischen Glauben – und das galt auch für den Glauben der semitischen Stämme, die später in den beiden Reichen Juda und Israel lebten.

In diesem Götterkosmos tritt auch Jahwe auf – und man muss sich manchmal die Augen reiben, wie er da auftritt: mal schützend, barmherzig, großzügig, aber auch rachsüchtig, grausam, ein Vulkan-, Wetter- und Kriegsgott. Die Texte des Alten Testaments, die von der Vorzeit und der Frühzeit Israels erzählen, enthalten Stoffe, die wir heute in Krimis unterbringen. Keine Softopern. Aber Jahwe macht eine Entwicklung durch. Nach dem babylonischen Exil verändert sich der Gottesglaube Israels. Mit der Tora und ihren 613 Weisungen wird Ordnung in dem Durcheinander (bei Jahwe und in der Gesellschaft) geschaffen – und es findet eine Verdichtung hin zum Glauben an den Einen Gott statt, dessen Ort außerhalb der Welt, im Himmel, ist.

Ich habe mich für den heutigen Sonntag „Kantate = Singet“ an die neue Predigtordnung der lutherischen Kirchen gehalten, die seit dem 1. Advent 2018 in Kraft ist. Die reformierten Kirchen haben diese Ordnung offiziell nicht übernommen, es wird sich aber häufig an ihr orientiert. Und der für den heutigen Sonntag „Kantate = Singet“ vorgeschlagene Text ist aus dem 1. Buch Samuel, Kapitel 16.

Bevor ich den Text lese, in dessen Mittelpunkt Saul, Israels 1. König, steht, ein paar Anmerkungen zu seiner Vorgeschichte. Saul hatte einen Feldzug gegen die benachbarten Amalekiter unternommen, und Jahwe hatte ihm durch den Propheten Samuel auftragen lassen, niemanden zu verschonen: „Töte Mann und Frau, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.“ Saul besiegte die Amalekiter, aber dachte keineswegs daran, den Auftrag Gottes auszuführen. Vielmehr wurden der gegnerische König Agag und die besten Schafe und Rinder und das Mastvieh und die Lämmer und alles, was von Wert war, verschont. Warum töten, wenn einem eine fette Beute zufällt?

Sauls Handeln führt zu heftigem Ärger mit Samuel, der entzieht ihm die Königswürde, die soll ein anderer – David – bekommen, der Gott gehorsamer sein wird als Saul. Samuel selbst haut den amalekitischen König in Stücke. Die Wege Samuels und Sauls trennen sich bis zu Sauls Tod. Nach der Trennung findet Samuel David. Der war, so heißt es in der Bibel, „bräunlich, mit schönen Augen und von guter Gestalt“, und Samuel salbt diesen heimlich zum König.

Jetzt kommt dieser Text in der Übersetzung der „Zürcher Bibel“:
"Der Geist des HERRN war von Saul gewichen und ein böser Geist vom HERRN verstörte ihn. Da sagten die Diener Sauls zu ihm: Du siehst, ein böser Geist Gottes verstört dich. Darum möge unser Herr seinen Knechten, die vor ihm stehen, befehlen, einen Mann zu suchen, der die Leier zu spielen versteht. Sobald dich der böse Geist Gottes überfällt, soll er spielen; dann wird es dir wieder gut gehen. Saul sagte zu seinen Dienern: Seht euch für mich nach einem Mann um, der gut spielen kann, und bringt ihn her zu mir! Einer der jungen Männer antwortete: Ich kenne einen Sohn des Betlehemiters Isai, der zu spielen versteht. Und er ist tapfer und ein guter Krieger, wortgewandt, von schöner Gestalt und der HERR ist mit ihm. Da schickte Saul Boten zu Isai und ließ ihm sagen: Schick mir deinen Sohn David, der bei den Schafen ist! Isai nahm einen Esel, dazu Brot, einen Schlauch Wein und ein Ziegenböckchen und schickte seinen Sohn David damit zu Saul. So kam David zu Saul und trat in seinen Dienst; Saul gewann ihn sehr lieb und David wurde sein Waffenträger. Darum schickte Saul zu Isai und ließ ihm sagen: David soll in meinem Dienst bleiben; denn er hat mein Wohlwollen gefunden. Sooft nun ein Geist Gottes Saul überfiel, nahm David die Leier und spielte darauf. Dann fühlte sich Saul erleichtert, es ging ihm wieder gut und der böse Geist wich von ihm." (1. Samuel 16, 14-23)

Wir werden verstehen, warum dieser Text für den „Kantate“-Sonntag gewählt wurde. Da ist Musik drin. Und jetzt muss ich wie zu Beginn noch einmal von einer Vorstellung in meinem Kopf sprechen, denn da stellt sich unwillkürlich der Gedanke ein, David habe vor Saul – Harfe gespielt. Viele große Künstler haben das dargestellt, eines bekanntesten Bilder ist von Rembrandt. Bepackt mit einer Konzertharfe, diesem wunderbaren Instrument, erscheint der Hirtenjunge David vor Saul, so die schöne, aber naive Vorstellung. Wenn Sie bei der Textverlesung eben richtig zugehört haben, war in der Zürcher Übersetzung nicht von einer Harfe die Rede, sondern von einer Leier. Das ist ein Zupfinstrument, das einige Nummern kleiner ist als eine Harfe, in die Bibel wird sie „Kinnor“ genannt. Wir brauchen nicht lange zu suchen, woher die Vorstellung kommt, es sei eine Harfe gewesen: Luther hat so übersetzt und selbst die letzte Ausgabe der Lutherbibel gebraucht diese Übersetzung.

Zurück zum Text: Der Ärger mit Samuel hat dazu geführt, dass Saul, wie wir heute sagen würden, depressiv, schwermütig geworden ist. Interessant, dass die Bibel sagt, ein „böser Geist vom Herrn“, also Jahwes habe Saul verstört. Kommt auch das Verstörende von Gott? Jedenfalls kommt es nun zu der Begegnung des jungen, Leier spielenden David mit Saul: „Sooft nun ein Geist Gottes Saul überfiel, nahm David die Leier und spielte darauf. Dann fühlte sich Saul erleichtert, es ging ihm wieder gut und der böse Geist wich von ihm.“ Heute würden wir sagen: Saul wird durch eine Musiktherapie zumindest zeitweilig geheilt. Die Fortsetzung der Begegnung Sauls mit David können Sie im 1. Buch Samuel nachlesen, da geht es dramatisch weiter. Aber dass das Volk Israel dem Musiker David viel zugetraut hat, können wir daraus ersehen, dass 73 der wunderbaren 150 alttestamentlichen Psalmen David „zugeordnet“ wurden, in den Bibeln eingeführt mit der Formulierung: „Ein Psalm Davids“.

Bleiben wir am Sonntag Kantate bei der Rolle der Musik. Sie hat zu allen Zeiten die Menschen beglückt, begeistert, beruhigt und sogar die Seele geheilt. „Musik, du Sprache, wo Sprachen enden“, hat Rainer Maria Rilke einmal geschrieben. Musik transzendiert das Gesprochene, sie kann in andere Sphären hineinreichen. Das hat bekanntlich dazu geführt, dass sie den Schweizer Reformatoren verdächtig war. Sie wurde bis auf den schlichten Gemeindegesang aus den Kirchen verbannt, als wäre mit zu viel Musik der böse und nicht der gute Geist Gottes am Werk. Und wir wissen ja auch: Musik kann berauschen, in Trancezustände führen, sie kann Massen manipulieren. Nicht umsonst spielen bei militärischen Aufmärschen große Kapellen mit. Die Macht der Musik konnte man gut miterleben bei der Krönung Charles III. am 6. Mai in London.

Ach, ich könnte/man könnte, stundenlang über Musik reden! Wie freue ich mich, wenn wir in „meinem“ Chor einen Bachchoral singen, wie geht er mir manchmal ans Gemüt. Wenn man in einer Suchmaschine im Internet (es gibt übrigens andere gute als die allgegenwärtige Krake „Google“) „schöne Sprüche über Musik“ eingibt, dann findet man viele Zitate aus allen Jahrhunderten. Immer hat gute Musik Menschen angerührt und angestiftet. Und vergessen wir nicht: Die „Sprache“ der gespielten Musik ist universal und verbindet Menschen aller Völker! Aber: Nichts im Leben ist nur rein, nur schön, nur beglückend, und so ist es auch leider mit der Musik. Wie wird sie missbraucht, wenn in Geschäften und Supermärkten irgendetwas gedudelt wird, oder wenn kaum ein Restaurant ohne Musikberieselung auskommt!

Kann man die Saul-/Davidepisode mit der Leier mit christlicher Theologie deuten? Im Internet habe ich eine Predigt gefunden, die das versucht. Da heißt es: „David ist einer der Vorfahren von Jesus. Wie Jesus war er in Bethlehem geboren. Wie Jesus vom Geist Gottes erfüllt. Hier tritt David für Saul als Heiland, als Heiler auf. Nicht aus eigener Macht, sondern gesandt von Gott. Isai, sein Vater, gibt ihm drei Dinge mit auf den Weg. Alle drei verweisen auf Jesus: Brot und Wein – klar, das hat Jesus beim Abendmahl auf sich gedeutet. Und ein Ziegenböcklein, das geschlachtet werden wird – Es ist ein Bild für das Opfer, das Jesus selber ist: Er stirbt am Kreuz, gibt sein Leben für Andere.“ Man kann das so christologisch übertragen. Aber muss man es? Genügt es nicht, festzuhalten, dass Musik eine Gottesgabe sein kann, und dass sie eine der schönsten Weisen darstellt, Gott zu loben und ihm zu danken?

Darum jetzt und hier: Die Kirchenband spielt, und wir singen nur Lieder, die vom Singen singen, das ist die gute Tonmischung für diesen Gottesdienst. Schließen möchte ich mit dem Freudenruf eines westafrikanischen Christen:

„Gott, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel. Die Nacht ist verflattert und ich freue mich am Licht. Deine Sonne hat den Tau weggebrannt vom Gras und von unseren Herzen. Was da aus uns kommt, was da um uns ist an diesem Morgen, das ist Dank. Herr, ich bin fröhlich heute am Morgen. Die Vögel und Engel singen, und ich jubiliere auch. Das All und unsere Herzen sind offen für deine Gnade. Ich fühle meinen Körper und danke. Die Sonne brennt meine Haut, ich danke. Das Meer rollt gegen den Strand, ich danke. Die Gischt klatscht gegen unser Haus, ich danke. Herr, ich freue mich an der Schöpfung und dass du dahinter bist und daneben und davor und darüber und in uns.
Ich freue mich, Gott, ich freue mich und freue mich. Die Psalmen singen von deiner Liebe, die Propheten verkündigen sie, und wir erfahren sie: Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Himmelfahrt ist jeder Tag in deiner Gnade.
Gott, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel. Ein neuer Tag, der glitzert und knistert, knallt und jubiliert von deiner Liebe. Jeden Tag machst du. Halleluja, Gott!“ Amen.

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